Stadt Gottes mit jeanpaulschen Maß-Stäben
von Prof. Dr. Dr. Reinhard Wunderlich
Ein religiöser Bildungsweg mit Jean Pauls Maß-Stäben
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wohnen erstmals mehr Menschen in den Städten als auf dem Lande, eine Jahrtausende währende agrarisch geprägte Kultur weicht einer globalisierten urbanen Kultur und das sog. Urbane Jahrhundert wurde ausgerufen. Gerade in Städten aber (von ihren oft historischen Stadtkernen und postmodernen Konsummeilen bis hin zu ihren Banlieues und Slum-Gürteln) kann brennpunktartig die Widersprüchlichkeit menschlichen Zusammenlebens und die Ungerechtigkeit menschlichen Handelns erkannt werden. Bildung muss Stadt finden, muss sich auf die Realität einlassen, die uns alle prägt. Bildung braucht dazu aber Orientierung, damit die Brücke von dem, was ist, geschlagen werden kann zu dem, was sein soll: Frieden und Gerechtigkeit.
Christlich-religiöse Bildung kann hier eine schöne Aussicht (bella vista) liefern, insofern das allerletzte Bild des christlichen Kanons die jüdische Tradition der Sehnsucht nach dem himmlischen Jerusalem aufgreift: Nicht ein (Paradies)Garten leuchtet in der Zukunft, sondern eine luxurierende Stadt (Mauern und Tore aus Edelsteinen …) mit menschlichem Gesicht, in der Gott selbst abwischen wird alle Tränen. (Vgl. das 21. Kapitel der Offenbarung des Johannes)
Eine urbane Religionspädagogik, die Bildungswege in den Städten der Menschen zur Stadt Gottes anbahnen hilft, ist das Gebot der Stunde!
Mit Jean Paul lernen wir gleichsam den Gründungsvater einer Urbanen Religionspädagogik kennen: Er war es, der in seiner Erziehungs- und Bildungstheorie (mit dem Titel einer römischen Hausgöttin Levana) erstmals eine Bildung zur Religion „in städtischer Nachzeit“ entwarf.
Seine pädagogisch-philosophische Schrift erschien 1806, einer Zeit zwischen Spätaufklärung, Romantik und Biedermeier. Zu seiner Zeit begann der Verstädterungsprozess, der erst später und weltweit immer dominantere Züge annehmen sollte. Umso erstaunlicher ist es, wie Jean Pauls Analysen welthellsichtig die urbane Dimension für Bildung und Erziehung thematisieren und konsequent mit dem Sehnsuchts-Bild der Stadt Gottes, des himmlischen Jerusalem korrelieren.
In der biblischen Vision des neuen Jerusalem taucht ein Bildführer auf, der mit einem „Messstab, eine(m) goldene(n) Rohr“ (Offenbarung 21,15) die Stadt Gottes vermisst. Auch im gesamten dichterischen Werk Jean Pauls wird die Stadt Gottes immer wieder neu vermessen: Wir werden als Leser in die Lebensgassen der Menschen eingetaucht und auf Landschaftspfade der Natur geführt und wie in einer Kippfigur oder einem Vexierbild dabei mit allen Sinnen gleichzeitig in die Stadt Gottes versetzt.
In unserem Erkundungsgang durch die Levana und durch das dichterische Werk Jean Pauls können wir zwar kein goldenes Rohr anbieten, um etwa absolute Maßstäbe für eine urbane Religionspädagogik zu setzen. Wohl aber nehmen wir spielerisch und vorläufig ein paar Mikado-Stäbe in die Hand und vors Auge.
Sie sollen einstehen für
• Religionsbildungsmaßstäbe, die wir aus der Lektüre der Levana eruieren (im fortlaufenden Text wird zitiert aus Jean Paul Friedr. Richters L e v a n a … herausgegeben von Dr. Karl Lange, Langensalza 1910 als 24. Band von Friedrich Mann’s Bibliothek pädagogischer Klassiker) und für
• Maß-Stäbe auf dem Weg in die Stadt Gottes, die wir als Blütenlese sammeln aus unendlich schönen Textpassagen mit den prallen Lebens-Läuften und den tiefsinnnigen Gedanken-Gängen jeanpaulscher Romanfiguren (auf den einzelnen Blüten-Blättern, die mit dem fortlaufenden Text verknüpft sind, wird nach www.projekt.gutenberg.de zitiert, wobei zu beachten ist, dass die dortige Kapitelzählung mit der jeweiligen jeanpaulschen Gliederung nichts zu tun hat!)
Die facettenreichen Aspekte, die uns in den ausgewählten Textpassagen für religiöse Bildung in städtischer Nachzeit begegnen werden und die im fortlaufenden Text nur hinsichtlich ihrer Grundstrukturen erläutert und in den größeren Zusammenhang einer Urbanen Religionspädagogik gestellt werden, können nur dann zu lebensfülliger Entfaltung kommen, wenn wir unsere eigenen individuellen Erfahrungen mit und gegen urbane Kulturen des 21. Jahrhunderts je und jäh einbringen. Die angebotenen Maß-Stäbe sind darauf angewiesen, auch für unser Leben Orientierung weisen zu können.
Wer Jean Pauls Wander-Stäbe erlesen hat, die uns durch die Städte der Menschen und in der Natur hinauf zur Stadt Gottes führen, der erkennt am Ende, dass man sich vielleicht am Besten auf diese Lebensreise so vorbereitet, dass man nach allen Regeln der Kunst Mikado spielt … Achtsam müssen die kleinen endlichen Stäbe in ihren lebenschaotischen Verästelungen erkannt und achtsam voneinander gelöst werden um Raum zu schaffen für das Unsichtbare:
Die Himmelsleiter selbst hat ja nach Jean Paul bekanntlich keine Sprossen!
Dermaßen lesend und spielend geschult in der Achtsamkeit für die unsichtbar-sichtbar offene Stadt Gottes müssen wir dann aber endlich schnell hinaus in die Welt, auf die Straßen und Gassen und Plätze unserer Städte und auf die Landschaftspfade der Natur in unserem eigenen, dem einundzwanzigsten, dem urbanen Jahrhundert.
Und um bei solchen Realzeitbewegungen in Realräumen die urbane Achtsamkeit nicht zu vergessen und Gottes Stadt nicht aus den Augen zu verlieren könnten wir auf unsere Handy-Displays die Navigationskarte einer urbanen Religionspädagogik laden (vgl. Titelgrafik), damit wir sicher aus den Schulstuben und Bildungshäusern durch Lebensgassen und Landschaftspfade in die Stadt Gottes gelangen, der Stadt mit dem menschlichen Antlitz, wo Gott abwischen wird alle Tränen und die er selbst in seine Hand tätowiert hat:
„Siehe: auf die Handflächen habe ich dich [sc. Zion] gezeichnet, deine Mauern sind mir beständig gegenwärtig.“ (Jes. 49,16)
"Stadt Gottes mit jeanpaulschen Maß-Stäben" (vollständig)
Jean Paul-Taschenatlas
Jean Paul-
Taschenatlas. Herausgegeben von Bernhard Echte und Michael Mayer im Nimbus Verlag. Publikation zur Litfaßsäulenausstellung Jean Pauls Orte im Jubiläumsjahr 2013. Rezensionen: NZZ, FNP, FLZ, JJPG, Neues Deutschland, Frankenpost, Das Blättchen, TP Würzburg, ZfGerm
Jean Paul Bildbiographie
Das Wort und die Freiheit. Jean Paul Bildbiographie. Hrsg. von Bernhard Echte und Petra Kabus im Nimbus Verlag.
Rezensionen: Neue Zürcher Zeitung, Fränkischer Sonntag, CULTurMAG, Lesart, PAZ, ekz, Frankenpost u.a.
Pressespiegel
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Poesie und Information
Immer am Montag war Hundsposttag.
Zu Wochenbeginn versendeten wir einen Aphorismus von Jean Paul, und in unregelmäßigen Abständen informierte der Newsletter über Termine und Veranstaltungen im Jean-Paul-Jubiläumsjahr 2013.