Endlichkeit und Unsterblichkeit - Schritte (4)
von Prof. Dr. Ortwin Beisbart
2/ 13 Das Erzählprogramm
Nun kann man als Leser annehmen, dass die verschiedenen Gesprächsteilnehmer eine Diskus-sion führen, wobei unterschiedliche Meinungen nicht nur aufeinandertreffen, sondern auch am Ende eine Lösung finden, entweder weil sich ein Argument als überlegen erweist oder weil es zu einem „Kompromiss“ kommt.
Aber ob dies bei einem solchen Thema möglich ist?
Wir werden sehen, wie der Autor dies Experiment vorstellt – auch angesichts der Dominanz, die er auch mit der Einzeichnung seines J.P. in die Gesellschaft scheinbar schon hat.
->Text 17 Die Struktur der Erzählung - mit folgenden Abschnitten:
1. Die Positionen der Diskutanten
2. Die Beziehungen der Personen zueinander
3. Der Weg als das Ziel
4. Die poetische Konstruktion als Ganze
Sie sollten nun diesen Zusammenhang und die Positionen der Beteiligten sich herausarbeiten und vergleichen. Und selbstverständlich auch diskutieren!
2/14 Das Ungenügen an philosophischer Argumentation und die Schlussbilder der Erzählung
Die Zeit der philosophischen Schlüsse und Argumentationen muss also auch wieder aufhören, die Zeit des Austauschs von Begriffen muss enden, so nötig sie auch gewesen sein mag. Denn jede Ansicht wird durch eine andere wieder außer Kraft gesetzt.
So endet die Erzählung 4,622-626 gewissermaßen mit drei Szenenbildern ->Text 18
1. einem Naturerlebnis
2. zwei Fahrten oder Flügen in Ballonen, den sogenannten Montgolfieren.
Zum Vergleich seien Texte des Neuen Testaments „synoptisch“ danebengestellt.
Zweierlei wird dem Erzähler deutlich:
Es gibt eine zweite Welt in uns, die eine zweite außer uns fordert (4, 614, Z.27) – also eine Immanenz der Transzendenz, die darin nicht aufgeht – das scheint das Ergebnis der langen Diskussionen, das aber nicht anders sichtbar gemacht werden kann als durch Poesie, nicht durch einen Beweis mit Argumenten.
2/ 15 Reaktionen auf die Erzählung und ihre Lösung
Nun hat sicher jeder Leser in seiner Vorstellung ein etwas anderes Bild dieser Erzählung.
Sie können nun zwei weitere Schritte machen.
Der erste wäre ein Blick auf einen Brief von Jean Pauls Freund Georg Christian Otto und sei-ne Antwort auf die Lektüre. ->Text 19
Der zweite ist es, noch einmal in die Schreibwerkstatt Jean Pauls zu blicken, die Antwort des Satirikers.
Jede Erzählung hat einen Schluss. So auch diese: Aber es wäre falsch, in diesem Schluss eine endgültige Lösung zu suchen; denn schon die beiden „Schlussbilder“, die nicht die Argumen-te des Leib-Seele- Dualismus, nicht die materialistische Deutung eines endgültigen Todes und nicht den Zweifel an der Unsterblichkeit ganz außer Kraft setzen können, sind Teil einer „ho-rizontalen Himmelfahrt“, der nun die Erfahrungen einer poetisch vorweggenommenen Him-melfahrt Giones und der verklärten Rückkehr auf die Erde des Paares J.P. und Nadine als geschriebene „Bilder“ gegenübertreten.
Doch Jean Paul, der Autor, gibt sich auch damit nicht zufrieden. Er hat auch hier – wie in vielen seiner Werke – mit Anhängen, Abschweifungen, Extrablättern usw. Gegenpositionen auf-gebaut. Und wenn die Erzählung selbst keinen wirklichen Spötter, keinen advocatus diaboli, kennt, so muss er dies jetzt noch selber tun, seine ernsthaften Überlegungen zugleich parodie-ren. Er macht dies im Anhang zu Kampanertal – „Erklärung der Holzschnitte unter den zehen Geboten des Katechismus“. (Hinzu kommen noch zwei Abbildungen zu den Sakramenten Taufe und Abendmahl.)
Der Anhang hat scheinbar gar nichts mit dem Thema zu tun. Aber vielleicht doch? ->Text 20
2/16 Die Gesellschaft in der Selina
Jean Paul hat die Frage nach der Unsterblichkeit zeitlebens keine Ruhe gelassen. So hat er gegen Ende seines Lebens – und nach dem äußerst schmerzlichen Tod seines Sohnes Max mit 19 Jahren - ein Neues Kampanerthal geplant und daraus schließlich eine eigene Erzählung machen wollen – mit dem Titel Selina oder die Unsterblichkeit der Seele.
Er lässt wieder eine kleine, der ersten verwandte Gesellschaft, mit notwendigen Änderungen nach 30 Jahren, ein Reisegespräch aufnehmen. Das Personal:
Karlson, dessen Frau Josepha gestorben war, seine Kinder Alexander und Nantilde, sowie der abwesende und doch immer dazu gehörende Henrion,
Wilhelmi ist aus Spanien zurückgekehrt, wo er mit Gione gelebt hatte, die auch gestorben ist.
Seine Tochter Selina ist dabei, verlobt mit Henrion, der sich begeistert am Freiheitskampf der Griechen gegen die türkische Fremdherrschaft beteiligt.
Auch Jean Paul ist wieder dabei, von den Freunden eingeladen, von Selina eifrig schon gele-sen, wie von so viele Damen der damaligen Gesellschaft.
Diesmal verläuft der Weg in nördlicheren Breiten, aber er nimmt die Gedanken und Fragen zur Unsterblichkeit in den Gesprächen wieder auf,
„Wohnt nicht die Unsterblichkeit schon vor dem Sterben unten bei uns?“ fragt sich Jean Paul – und es gibt mindestens zwei Antworten darauf. Beide sollen uns erneut beschäftigen.
1. Zum einen wird sie spürbar in der ganz individuellen Liebe der Menschen zueinander.
2. Und zum anderen wird sie vor allem mit der Erfahrung, der intensiven Wahrnehmung der
großen, ja der „erhabenen“ Natur in eins.
E 2/17 Die Erhabenheit der Natur
Als mögliche direkte Anschauung für die Naturerfahrung können Radierungen des berühmten gebürtigen Hofers und Deutschrömischen Künstlers Johann Christian Reinhardt oder Gemäl-de Caspar David Friedrichs dienen. Arbeiten Reinharts hat Jean Paul vielleicht auch gekannt hat, zumindest jedoch den Namen seines Landsmanns. Die Werke sind etwa in der gleichen Zeit wie Jean Pauls Erzählungen, in den 1820er Jahren entstanden. ->Text 21 (Abb.)
Und beziehen Sie auch Naturbilder Jean Pauls mit ein:
E 2/18 Naturbilder Jean Pauls
Jean Paul ist nicht unbeeindruckt von Naturerfahrungen, weder solchen des Erhabenen, des heroischen als auch solchen der Unklarheit, der Undurchsichtigkeit, in der der Mensch zwischen Kleinheit und Größe hin- und hergerissen ist. Sie kennen solche Darstellungen schon aus ->Text 8: Wie Viktor den Sonnenaufgang erfährt.
Aber er zeigt stets auch, dass in solcher Erfahrung nicht der Boden unter den Füßen verlassen werden kann – oder auch nicht darf. Er setzt sich dabei in einen Gegensatz zu Friedrich Schiller und den Philosophen Immanuel Kant, aber auch zu den Romantikern mit ihren Darstellun-gen menschlicher Entgrenzung ins Nebelhafte, ins Unendliche. -->Text 22
Jean Paul-Taschenatlas
Jean Paul-
Taschenatlas. Herausgegeben von Bernhard Echte und Michael Mayer im Nimbus Verlag. Publikation zur Litfaßsäulenausstellung Jean Pauls Orte im Jubiläumsjahr 2013. Rezensionen: NZZ, FNP, FLZ, JJPG, Neues Deutschland, Frankenpost, Das Blättchen, TP Würzburg, ZfGerm
Jean Paul Bildbiographie
Das Wort und die Freiheit. Jean Paul Bildbiographie. Hrsg. von Bernhard Echte und Petra Kabus im Nimbus Verlag.
Rezensionen: Neue Zürcher Zeitung, Fränkischer Sonntag, CULTurMAG, Lesart, PAZ, ekz, Frankenpost u.a.
Pressespiegel
Lesen Sie Artikel zu Publikationen und Veranstaltungen im Jean-Paul-Jahr 2013.
Poesie und Information
Immer am Montag war Hundsposttag.
Zu Wochenbeginn versendeten wir einen Aphorismus von Jean Paul, und in unregelmäßigen Abständen informierte der Newsletter über Termine und Veranstaltungen im Jean-Paul-Jubiläumsjahr 2013.