» Die größten Städte und Genies
sind unregelmäßig gebauet,
voll Sackgassen und Paläste. «

» Die Bücher sind die
        stehende Armee der Freiheit. «

» Ein Kind sei euch heiliger als die
   Gegenwart, die aus Sachen
     und Erwachsenen besteht. «

» Jeden Tag
     mache dich auf viele Wunder gefaßt. «

» Ein Rathhaus gehört zum Hausrath
       einer Stadt. «

» Die Blumen schlafen,
         aber nicht das Gras. «

» Das Paradies verlieren
und den Paradiesvogel behalten. «

» Weiber sprechen lieber von,
          Männer in der Liebe. «

» Auf der Welt ist alles natürlich,
       ausgenommen die Welt selber. «

» Unter Denken eines bösen Gedankens
     auf der Gasse ehrerbietig gegrüßt werden. «

» Bücher sind nur dickere Briefe an Freunde. «

» Eine Blattlaus hat mehr Ahnen
   als ein Elephant. «

» Eine Demokratie ohne ein paar hundert Widersprechkünstler ist undenkbar. «

» Niemand hat weniger Ehrgefühl
      als eine Regierung. «

» Er ist ein besonderer Freund
       – von Feinden. «

» Man verdirbt unter Leuten,
die einen nicht übertreffen. «

» Was alles Böses gegen das Bier
     bei Philosophen gesagt wird,
         gilt nicht bei mir. «

» Entwirf beim Wein,
         exekutiere beim Kaffee. «

» Ich merke Namen so wenig,
daß ich oft vor dem Spiegel frage,
wie heißt der darin? «

» Hätte ich keine Bücher zu schreiben: ich wäre der beste Ehemann. «

» Nichts ist fataler, als wenn gerade
die letzte Flasche altes Bier schlecht ist. «

» Bei Gott, alle Welt spricht,
und niemand kommt zu Wort. «

» Man kommt leichter zu jedem
     andern als zu sich. «

» Die Tat ist die Zunge des Herzens.«

     » Die Poesie ist die Aussicht
aus dem Krankenzimmer des Lebens. «

     » Manches »Gesuchte« wäre es nicht,
        wenn der Verfasser mehr suchte. «

Endlichkeit und Unsterblichkeit - Schritte (5)

 

von Prof. Dr. Ortwin Beisbart

 

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Literatur

 

E 2/19 Die Liebe der Menschen zueinander

Die Erfahrung der Erhabenheit in der Natur, das Aufgehobensein in etwas Größerem, ist das eine.

Der zweite, parallele Weg aber führt zum Thema der Liebe unter den Menschen

J.P. als Erzähler erinnert zu Beginn der Selina an die alte Geschichte der Kampaner-Freunde, Mit den „Aussichten in das Zaubertal und auf die Zauberhöhen wurden die Aussichten in die zweite Welt gereiht wie die blumige Erde sich an den gestirnten Himmel schließt.“ Aber auch an die „Klage ohne Trost“ Karlssons erinnert er. Dem folgt die Darstellung der Liebe zwischen der Hauptfigur, Selina und ihrem Verlobten, Henrion, der sich dem heroischen Freiheitskampf der Griechen angeschlossen hat und sich gewissermaßen als Mensch bewährt durch Tat. Jean Paul nimmt hier ein aktuelles Ereignis auf, den Kampf der Griechen gegen die Osmanen um Selbstständigkeit.

Und wieder nehmen die Gespräche über Unsterblichkeit und die Charakterisierungen der Figuren durch den beteiligten J.P breiten Raum ein.

Karlson hat hier nun Glauben gewonnen, hier ist es sein Sohn Alexander, der die Rolle des Skeptikers innehat, des rationalistischen Verstandesmenschen, der doch innerlich von Anderem irgendwie erfüllt ist – während Selina für sich einen Unsterblichkeitsglauben lebt, wie wir aus dem Kampanertal wissen (ausführlich 4, S. 600/S.612/S.615).

Sein ganzes Bestreben geht dahin, so etwas wie eine ganzheitliche Weltsicht – unter Einschluss aller Öffnungen für eine zweite Welt – zu ermöglichen und die Grenzen aller Spekulationen und Theorien, der naturwissenschaftlichen wie der theologischen – zu erweisen,

die „ungewöhnliche Vereinigung von fortschwebender Phantasie und fortgrabender Philosophie (Selina 6,1111) zur Grundlage seiner Darstellung zu machen. žText 23

2/20 Einwände

Die Vermutung lautet, dass Gott (auch) so erfahrbar wird: Eine anthropologische Grundausstattung sei vorhanden, die „in unseren vorrationalen Schichten immer schon verwurzelt“ (Buschendorf 1997, S. 66) und „auf emotionalem Wege erschlossen, insbesondere mit den Mitteln der Dichtung geweckt und zur Geltung gebracht werden“ könne.

Vielleicht ist es hilfreich, an dieser Stelle zwei weitere Textauszüge mit heranzuziehen, den berühmten „Traum über das All“ aus den „Ernsten Ausschweifen“ des sechsten Vorkapitels, in dem „Anhang für Leserinnen“ der Erzählung „Der Komet“.

žText 24 (Traum über das All) könnte einige Gedanken und Vermutungen der Gesprächsteilnehmer klären helfen.

žText 25 aus der Selina selbst wendet sich einem Reich des Unbewussten zu.

 

2/21 Wirkungen zwischen Menschen

Auch der damals moderne Gedanke des „Mesmerismus“ wird aufgenommen, der Begriff ist abgeleitet vom Namen des Wiener Arztes Franz Anton Mesmer (1734-1815), der auf die magnetisch aufgefasste Heilkraft und eine andersartige Beziehung und Verbindung von Menschen setzte, etwa durch Handauflegen, aber auch durch gedankliche Fernwirkungen. Er gilt auch als ein Vorläufer der Psychoanalyse.

So sollte auch zwischen Selina und ihrem Geliebten Hernion nicht nur eine leibende, sondern auch (vor dem Tod in einer Schlacht) beschützende Fernwirkung erprobt werden.

Selina erfährt die Vereinigung mit dem fernen und durch den Tod gefährdeten Geliebten Hernion. žText 26 Die Fernwirkung gemeinsamer Gedanken und Gefühle im Magnetisieren (Telepathie)

Spekulationen über eine „Lebenskraft“ (6,1187) als einem Dritten zwischen Leib und Seele werden erwähnt und vieles andere. Auch hier ahnt man etwas von Welten, die sich in den Individuen finden, viel zu wenig bekannt, wenig zugänglich, und die doch den Hinweis auf Unendlichkeit in sich tragen könnten, die die Beteiligten glauben.

2/22 Erfahrungen mit dem Tod

Doch immer wieder ist das Gegenteil des Gesagten mit im Spiel, wenn sich das Gespräch in Einseitigkeit zu verlieren scheint, jede Faktizität wird durch poetische Gedanken aufgefangen, jede Freude durch den Schmerz konterkariert, :

„Der höchste Trost falle in den höchsten Schmerz.“ (II, 4, 484, Notizen zur Selina-Hand­schrift und zur weiteren Planung Jean Pauls)

„Alle Leiden werden unerträglich-düster, wenn man ihnen die frohe Beleuchtung durch das Licht der andern Welt entzieht:“ (a.a.O. SW II, 4, S.436)

Und die Gemeinschaft der Menschen, ihre Verbundenheit und Liebe gilt nur zusammen mit dem Blick auf den Tod, der sichtbar wird.

Zwei Tode werden erzählt, beide von Selina: der einer armen Pfarrerswitwe und der Tod Giones, die wir aus dem Kampanertal kennen, ihrer eigenen Mutter. žText 27

Sie können aber auch den Tod des Schulmeisterleins Wuz heranziehen, vgl. dazu den Hinweis in Text 31

 

E 2/23 Die Frage nach den guten Werken

In beiden Erzählungen geht es auch um die Frage nach der Schuld oder dem Verdienst des Menschen hinsichtlich seiner Erwartungen. Ganz deutlich an einer Stelle, im Nachgang zu den Sätzen, sie hier unter Text 25/2 zu lesen sind „’Recht lieb war mirs’, sagte der Gesandtschaftsrat, daß Sie nicht die Kanzelsporen und die Kanzelzügel, nämlich Himmel und Hölle oder künftige Belohnung und Bestrafung unter die Beweise der Unsterblichkeit gestellt. die Menschen lassen Tugend leicht ihr eigner Lohn sein, aber weniger das Laster seine eigne Strafe.[…’“ žText 28

 

2/24 Über das Wiedersehen nach dem Tode

Auch das Thema: Wiedersehen nach dem Tode wird verhandelt.ž Text 29

 

2/25 Das Resümee im unvollendeten Schluss der Selina

Der Leser wird sich nun fragen, wo denn das tragfähige Fundament des Glaubens sei.

Es wird sicher in der liebenden Zuwendung der Menschen zu finden sein – einer Sterbenden gegenüber (wie Selina zur Pfarrerswitwe oder in der Erinnerung an ihre Mutter) – einem der Todesgefahr Nahen, wie Hernion.

Aber wenn man die Grenzen der Liebe dort sieht, wo der Tod den Geliebten wegnimmt, so ist auch dieses Fundament schwankend:

Die unvollendete Erzählung sollte mit dem Tod Hernions enden, der an seiner Kriegsverletzung stirbt - am gleichen Tag wie Selina.

Eine Erschütterung nicht nur für die Leser, sondern auch für Karlson, Wilhelmi und Selina selbst, aber eine, die ihren Glauben stärken soll. Eine dialektische Verschränkung, mit der man rechnen solle, die zwischen Alex und Selina noch „verhandelt wird“, ehe das Fragment abbricht:

„[… ] ‚Die Erde bereitet uns eben nicht auf Aushalten der Freuden vor durch hiesige. Zum Glücke aber stellen die denkenden Leichenprediger die Seligkeit so unbestimmt, gestaltlos, so entfremdet dar, daß ihre Grenzenlosigkeit doch Platz im menschlichen Herzen finden kann: und nur eine einzige ewige Freude haben sie dem hiesigen Leben nachkopiert, das Widersehen und Fortlieben.’

- ‚Ach, diese Liebe und die Liebe zu Gott sind schon genug für die Ewigkeit’, sagte leise Selina, um ihn nicht zu unterbrechen.“

Und Alex spricht weiter und endet mit den Worten:

„Soviel ist ersichtlich, je näher man der zweiten Welt, desto mehr verliert sie ihre Farbe und Gestalt, wie auch der physische Himmel sein heiteres Blau einbüßt, je näher man ihm auf Bergen zusteigt, bis er endlich als schwarzes Leichentuch sich über die Welt ausspannt.

Jetzt bin ich fertig’, sagte Alexis. – Bei diesen Worten trat plötzlich die Sonne aus dem Wolkenhimmel und ging unter mit warmem Scheideblick auf uns. (6,1232, Z. 28-35)

Ist also der Weg der romantischen Poesie, mit dem Blick auf den Trost in der Natur, nur unter dem Vorbehalt der erfahrbaren Endlichkeit gangbar, einer Erprobung seines Scheiterns?

Es gibt es für den Dichter Jean Paul noch einen zweiten Weg, den Weg der humoristischen Poesie.

Dieser Weg ist auch eine Antwort, eine Kritik gegen die Theologie zu Jean Pauls Zeit. žText 30 Die Leistung des Humors

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