» Eine Demokratie ohne ein paar hundert Widersprechkünstler ist undenkbar. «

» Hätte ich keine Bücher zu schreiben: ich wäre der beste Ehemann. «

» Bei Gott, alle Welt spricht,
und niemand kommt zu Wort. «

» Ich merke Namen so wenig,
daß ich oft vor dem Spiegel frage,
wie heißt der darin? «

     » Die Poesie ist die Aussicht
aus dem Krankenzimmer des Lebens. «

» Was alles Böses gegen das Bier
     bei Philosophen gesagt wird,
         gilt nicht bei mir. «

» Eine Blattlaus hat mehr Ahnen
   als ein Elephant. «

» Niemand hat weniger Ehrgefühl
      als eine Regierung. «

     » Manches »Gesuchte« wäre es nicht,
        wenn der Verfasser mehr suchte. «

» Die Tat ist die Zunge des Herzens.«

» Weiber sprechen lieber von,
          Männer in der Liebe. «

» Man verdirbt unter Leuten,
die einen nicht übertreffen. «

» Auf der Welt ist alles natürlich,
       ausgenommen die Welt selber. «

» Die Bücher sind die
        stehende Armee der Freiheit. «

» Die größten Städte und Genies
sind unregelmäßig gebauet,
voll Sackgassen und Paläste. «

» Die Blumen schlafen,
         aber nicht das Gras. «

» Ein Rathhaus gehört zum Hausrath
       einer Stadt. «

» Bücher sind nur dickere Briefe an Freunde. «

» Entwirf beim Wein,
         exekutiere beim Kaffee. «

» Nichts ist fataler, als wenn gerade
die letzte Flasche altes Bier schlecht ist. «

» Man kommt leichter zu jedem
     andern als zu sich. «

» Er ist ein besonderer Freund
       – von Feinden. «

» Jeden Tag
     mache dich auf viele Wunder gefaßt. «

» Das Paradies verlieren
und den Paradiesvogel behalten. «

» Unter Denken eines bösen Gedankens
     auf der Gasse ehrerbietig gegrüßt werden. «

» Ein Kind sei euch heiliger als die
   Gegenwart, die aus Sachen
     und Erwachsenen besteht. «

Jean Pauls ICH-Suche - Schritte (3)

 

 

von Ortwin Beisbart

 

Übersicht und Struktur des Materials zu "Jean Pauls Ich-Suche - Der Mensch als Titan"

Texte "Jean Pauls Ich-Suche - Der Mensch als Titan"

Zur Textübersicht

Hinweise und Literatur

 

2/5 Jean Pauls Selbstbewusstsein als Autor
Man darf behaupten, dass die in dieser Zeit formulierten Fragen bis heute von zentraler Be-deutung sind, für den Einzelnen wie für die Gesellschaft – ob alle Antworten und Lösungen befriedigen, sollte zum eigenen Nachdenken anregen. Auch wenn manche – christliche Theo-logen und Seelsorger, aber auch Psychologen und auffälligerweise viele Anhänger neuer reli-giöser Strömungen – heute eher kritisch von Subjektivierung und Individualisierung als dem Beginn eines enormen kulturellen, geistigen und religiösen Verlustes sprechen, so bleibt auf der anderen Seite unbestreitbar der Gewinn an Kenntnis des Menschen über sich selbst fest-zuhalten – und über seine Grenzen. Auch Jean Paul hat sich an dieser Diskussion auf seine Weise des Schreibens beteiligt:

So nichtig uns das Leben durch die Menge der Untergehenden vorkommen mag, durch die Kleinheit des Menschen p.: so wird er sich doch auf einmal wichtig – nicht durch seine Frei-heit – sondern durch sein Selbstbewußtsein wodurch er sich von der ganzen Natur unterschei-det, welche blind dahin geht.
Jean Paul, Nachlass 1797, aus: Ideen-Gewimmel Nr. 972

Es bleibt die Frage drängend: Wenn der Mensch so selbstbewusst gesehen ist, wird er auch selbst verantwortlich – aber wie ist solche Selbstbewusst sein zu gewinnen und wie ist Ver-antwortlichkeit zu leisten?

 

2/6 Jean Paul, der Autor des Titan/Anti-Titan

Als Erwachsener hat sich Jean Paul an einer solchen Standortbestimmung wesentlich beteiligt. Er leistete dies als Autor in unterschiedlicher Form.

Jean Paul hat sich auf vier Wegen, in vier Perspektiven der Frage genähert, wie es um den Menschen, das Individuum, in einer endlichen und zugleich von Gott bestimmten Welt, steht:
als Dichter, als Philosoph und Theologe, als Pädagoge und als politischer Schriftsteller.
Vielfach finden sich in seinen Texten die Perspektiven und Weisen des Erzählens und poe-tisch Wahrnehmens mit Weisen des Redens darüber unmittelbar nebeneinander. Wir können ihm also in seinem Roman „Titan“ durchaus umfassend begegnen.

Der Roman, der als ganzer nicht leicht zu lesen ist, nicht nur seiner Länge von über 800 Seiten wegen, hat den Titel „Titan“ – ohne den bestimmten oder den unbestimmten Artikel. Er sollte wohl nicht nur als Beispiel verstanden werden, sondern als die Vorstellung von „Titanismus“. Wenn das richtig ist, dürfte weniger die berechtigte Auflehnung und das Lob des Siegers als vielmehr die Gefahr der Überhebung, der Überschätzung des Ichs im Mittelpunkt stehen.
So steht in einem Brief des Autors: „Titan sollte heissen Anti=Titan; jeder Himmelsstürmer findet seine Hölle; […] Das Buch ist der Streit der Kraft mit der Harmonie.“  (SW III,4, 263ff.,  Brief an Friedrich Heinrich Jacobi vom 8. September 1803 aus Coburg)
Jean Paul wollte den Namen zudem Títan aussprechen, nicht Titán.

Wie könnte man sich ein Erwartungsbild eines Anti-Titan entwerfen? Lesen Sie dazu einige mögliche Anregungen unter Text 9


2/7 Wege zum Roman  „Titan“ Jean Pauls
Der Roman „Titan“ wird im Folgenden in fünf Schritten vorgestellt:
1. mit einem Blick in einen Brief, den Jean Paul am 3. 12..1798 an seinen Freund Friedrich
    Heinrich Jacobi schreibt Text 10,
2. mit einem kurzen Blick auf die im Roman selbst recht verwickelte Handlung Text 11,
    und parallel dazu einen zusammenfassenden Text aus der Handlung des Buches selbst (das
    Testament Eleonores) Text 12,
3. mit einem Blick auf kritische Stimmen: wichtig ist Text 13 (Goethe), drei moderne Kri-
    tiker können Sie sich ggf. auch für die Zeit nach der Lektüre aufheben Text 14,
3. durch die Vorstellung eines weiteren Textes Jean Pauls, des „Extrablatts: Von hohen Men-
    schen“ Text 15,
4. durch die Vorstellung wichtiger, Albano begleitender Figuren im Roman, die ihren Anteil
    zur Ausbildung beitragen.  


2/8 Ist der Roman ein „Schauerroman“?
Die kurze Inhaltsangabe (vgl. Text 11) kann man als eine zwar verwickelte, aber doch recht „triviale“ Story ansehen. So kann man zeigen, dass Jean Paul sich auch mancher Mittel des sogenannten „Schauerromans“ seiner Zeit bedient: Geschichten voller Zufälle mit traurigen oder glücklichen Umständen, von echten oder auch nur scheinbaren Wundern und wirkungs-vollen, ja gruseligen Details – und schließlich einem „happy end“, vielleicht so märchenhaft, wie eben im ansonsten durchaus realistischen Märchen, in dem der Gewinner oft der ist, der zu Anfang der Benachteiligte war, aber in seiner Art zu handeln (oder auch nicht zu handeln) sicher ist, auf jeden Fall auch niemandem mit seinem Handeln schadet.
Aber: Eine unwandelbare Selbstsicherheit müsste nicht eine lange Ausbildung erfahren. Der wirkliche Märchenheld hat seine Sicherheit immer schon.
Und der scheinbar so harmonische Schluss bleibt es nur, wenn man zu vieles ausblendet.
•    Albano ist zurückkehrt in seine Heimat:
„Er dachte an die um ihn her in Gräbern gelegten eingesunkenen Menschen, zwar hart und unfruchtbar wie Felsen, aber auch hoch wie Felsen, an die vom Schicksal geopferten Men-schen, welche die Milchstraße der Unendlichkeit und den Regenbogen der Phantasie zum Bo-gen ihrer Hand gebrauchen wollten, ohne je eine Sehne darüberziehen zu können.- ‚Warum ging ich denn nicht auch unter wie jene, die ich achtete? Wallete in mir nicht auch jener Schaum des Übermaßes und überzog die Klarheit?’“ (3,820, Z. 20 – 3, 821, Z.3)

Wächst das Ich also auf dem Feld der Menschen, die man hinter sich lässt, die sterben müs-sen?
•    Wir könnten vom Schluss einer Erzählung her, die Jean Paul schrieb, die Frage beant-wortet erkennen, während er zugleich am Titan arbeitete „Des Luftschiffers Gianozzo Seebuch“. Dort wird von der Ballonfahrt und endlich vom tödlichen Absturz des Ballon-fliegers erzählt, nachdem er die Welt mit all ihren menschlichen Grausamkeiten überflo-gen hatte und betrachten musste. Ist das vielleicht das Gegengewicht gegen zu viel Glück und Optimismus?
Ist ein ideales Ich, also eine „Identität“, gar nicht zu schaffen?

Es gibt das Zeugnis einer kleinen Auseinandersetzung Jean Pauls mit Goethe, das ein Schlag-licht auf einen zentralen Konflikt wirft. Text 13


2/9 Ist der „Titan“ ein Erziehungsroman?
Man will ja als Leser einen Roman nicht nur auf das bestätigte Glück – oder die Katastrophe – am Ende hin lesen, sondern man will etwas von den Verwicklungen – und den Erfahrungen, den Umwegen, den Hindernissen und den Chancen ihrer Überwindung lesen.
So sollte man Jean Pauls Roman lesen als ein dichterisches Experiment, ob und in welcher Weise es der Hauptfigur Albano gelingen kann, in der Begegnung mit den unterschiedlichsten Figuren oder Individuen, den eigenen „punctum saliens“ seines Ichs zu finden oder genauer: sich zu erwerben.
Das könnte nun doch wieder nach dem klingen, was ebenfalls in dieser Zeit ausgebildet wur-de: nach einem „Erziehungs- oder Bildungsroman“ – und Goethe hatte mit seinem Roman „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ einige Jahre vor Jean Paul (1796) gewissermaßen eine Vorlage geliefert, an der sich Jean Paul auch „abgearbeitet“ hat, aber zugleich hatte er schon vorher sein andersartiges Bild des Menschen , seine Vorstellung von Bildung bzw. Bildbarkeit ent-faltet.
Zur Kritik am „Titan“, auch im Blick auf das Modell des „Wilhelm Meister“, vgl. in Text 14 drei Stimmen.

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