» Hätte ich keine Bücher zu schreiben: ich wäre der beste Ehemann. «

» Entwirf beim Wein,
         exekutiere beim Kaffee. «

» Er ist ein besonderer Freund
       – von Feinden. «

» Niemand hat weniger Ehrgefühl
      als eine Regierung. «

     » Manches »Gesuchte« wäre es nicht,
        wenn der Verfasser mehr suchte. «

» Man verdirbt unter Leuten,
die einen nicht übertreffen. «

» Eine Blattlaus hat mehr Ahnen
   als ein Elephant. «

» Die Tat ist die Zunge des Herzens.«

» Die größten Städte und Genies
sind unregelmäßig gebauet,
voll Sackgassen und Paläste. «

» Nichts ist fataler, als wenn gerade
die letzte Flasche altes Bier schlecht ist. «

» Unter Denken eines bösen Gedankens
     auf der Gasse ehrerbietig gegrüßt werden. «

» Die Blumen schlafen,
         aber nicht das Gras. «

» Eine Demokratie ohne ein paar hundert Widersprechkünstler ist undenkbar. «

» Ich merke Namen so wenig,
daß ich oft vor dem Spiegel frage,
wie heißt der darin? «

» Weiber sprechen lieber von,
          Männer in der Liebe. «

» Auf der Welt ist alles natürlich,
       ausgenommen die Welt selber. «

     » Die Poesie ist die Aussicht
aus dem Krankenzimmer des Lebens. «

» Ein Kind sei euch heiliger als die
   Gegenwart, die aus Sachen
     und Erwachsenen besteht. «

» Jeden Tag
     mache dich auf viele Wunder gefaßt. «

» Bücher sind nur dickere Briefe an Freunde. «

» Was alles Böses gegen das Bier
     bei Philosophen gesagt wird,
         gilt nicht bei mir. «

» Ein Rathhaus gehört zum Hausrath
       einer Stadt. «

» Das Paradies verlieren
und den Paradiesvogel behalten. «

» Bei Gott, alle Welt spricht,
und niemand kommt zu Wort. «

» Man kommt leichter zu jedem
     andern als zu sich. «

» Die Bücher sind die
        stehende Armee der Freiheit. «

Jean Pauls ICH-Suche - Schritte (4)

 

 

von Ortwin Beisbart

 

Übersicht und Struktur des Materials zu "Jean Pauls Ich-Suche - Der Mensch als Titan"

Texte "Jean Pauls Ich-Suche - Der Mensch als Titan"

Zur Textübersicht

Hinweise und Literatur

 

2/10 Ein Ausweg aus festen Denkschemata: Der Hohe Mensch als Ideal?
Auch gegen die Urteile der drei Kritiker gerichtet darf man fragen: Was ist an Märchenfiguren titanisch, was ist an einem Helden, dessen Bildung wir erfahren, anti-titanisch? Oder liegt das Anti-Titanische einfach in Kampf und Sieg gegen die anderen, die sich titanisch gebärden und vielleicht heroisch oder auch nur übermütig unterliegen? Dann bliebe nur wieder das Märchenschema: Der Gute/ das Gute bleibt übrig, nachdem die Bösen/das Böse besiegt ist.
So gibt es nur die klaren Linien, keine gemischten Figuren, keine Charaktere, in denen Stim-mungen und Gefühle im Widerstreit liegen, die das Ich mitbestimmen.
Solche Überlegungen sollten dazu anregen, keine Kurzschlüsse zu ziehen.
Dies gelingt am ehesten, wenn wir nicht vorrangig bei Jean Paul darauf achten, welche äuße-ren Bildungseinflüsse den Menschen Albano bestimmen, sondern welche Kräfte in ihm selbst es sind, die das Ich ausbildet – und ausbilden. (Beachten Sie die hier grammatisch dargestellte doppelte Perspektive.)

Im Jahr 1792 hatte Jean Paul seinen ersten großen Roman „Die unsichtbare Loge“ fertig ge-stellt. Dort findet sich – eingeschoben in den Roman – ein „Extrablatt: Von hohen Men-schen“.
Wäre, anstatt von einem Titan oder einem Genie zu sprechen, die Rede  von einem „hohen Menschen“ erfolgreicher auf dem Weg zu einem Ich? Text 15. Sie finden im Anschluss daran auch eine Analyse dieses sicher nicht ganz leicht zu verstehenden Textes sowie weitere Überlegungsfragen

 

2/11 Jean Pauls Umweg über Platon und ein Gegenbild: Christliche Lieder
Nun fügt aber Jean Paul an den Abschnitt über den Hohen Menschen einen Hinweis auf  Plato an:

„Aber warum nehm’ ich weißes Papier und durchstech’ es und bestreu’ es mit Kohlenstaub oder Dintenpulver, um das bild eines hohen Menschen hineinzustäuben; indes vom Himmel herab das große, nie erblassende Gemälde herunterhängt, das Plato in seiner Republik  vom tugendhaften Manne aus seinem Herzen auf die Leidwand trug.“ (1, 222, Zeile 24-30)

Den hohen Menschen entdeckt er schon bei dem griechischen Philosophen – doch Platon hat in seiner Politeia Folgendes ausgeführt:

Ein Staat ist auf Arbeitsteilung (dreier Stände) angewiesen: Handwerker (Arbeiter) mit der tugend des Maßhaltens, Wächter (Lehrer) mit der Tugend der Tapferkeit und Herrscher mit der Tugend der Weisheit. Ein solches Zusammenwirken führt zu der gemeinsamen Tugend der Gerechtigkeit.
Ein Mensch ist gewissermaßen ebenfalls ein „Staat“. Er wird bestimmt von „Seelenkräften“ (Seelenteilen), nämlich den Trieben (Leidenschaften), den Emotionen (Empfindungen) und der Vernunft, die auch auf Zusammenarbeit angewiesen sind, die durch Erziehung und Ausbildung in ein Gleichmaß kommen sollen.                                                                                  Dieses Erziehungsideal – das seit Plato (Politeia Buch 5-7) - bis in die Zeit der Aufklärung  auf jeden Fall für die „Gebildeten auf den Thronen“ immer wieder neu Geltung beansprucht hat, also den „Weisen“ im Dienste einer gerechten Gesellschaft meint – enthält nun auf den ersten Blick wenig von dem, was den „hohen Menschen“ Jean Pauls hier auszeichnet. Text 16

So scheint nichts zusammenzupassen.
Wir können sogar fragen, ob nicht Jean Pauls pessimistisches Weltbild – und den aus dieser Welt sich wegsehnenden Menschen – eher in manchen christlichen Liedern aus der Tradition der Orthodoxie (und der Erfahrungen des Dreißigjährigen Krieges) finden ist. Text 17

2/12 Eine erste Bilanz
Auf welchen Wegen wäre der hohe Mensch, der zugleich Ich sagen kann, gar eine „Identität ist, wie wir auf der Startseite gesehen haben, zu erkunden?
Er erfährt sich in einem Koordinatensystem, zu dem die Außenwelt, die Wirklichkeit gehört als Welt des Handelns und als Welt der Beziehungen mit anderen Individuen.
Dazu gehört die Innenwelt, die bestimmt ist von verschiedenen Kräften, auch Leidenschaf-ten, in der Terminologie jener Zeit: von Herz (Gefühlen, Gemütskräften), von Kopf  (Ver-stand, der danach drängt sich der übergeordneten Vernunft zu nähern) und Hand (dem Tätigsein) – und der sich im Blick auf eine von Gott bestimmte zweite Welt von eigener Re-alität eröffnet, die durch Einbildungskraft ( oder Phantasie) erfahrbar und der ersten Welt anzunähern möglich scheint.
Eine Reflexionsaufgabe finden Sie unter Text 18


2/13 Auf dem Weg in den Roman „Titan“
So sollte man bei Jean Paul weiterlesen, genauer hinsehen, wie er dies „in Szene“ gesetzt hat.
Wir nähern uns den wichtigsten Figuren des Romans, das „Personal“ gewissermaßen, das sich um Albano bemüht, mit dem er lebt.

Doch kommen wir bei Jean Paul nicht darum herum, noch einen Gedanken auf seine Planung zu werfen. Dies sei getan mit einem Blick in seine „Vorschule der Ästhetik“, gewissermaßen als Kommentar, worauf wir gefasst sein müssen:
„Keinen wirklichen Charakter kann der Dichter – auch der komische – aus der Natur anneh-men, ohne ihn, wie der Jüngste Tag die Lebendigen, zu verwandeln für Hölle oder Himmel. Gesetzt, irgendein wild- und weltfremder Charakter existierte, als der einzige, ohne irgendeine symbolische Ähnlichkeit mit andern Menschen: so könnt’ ihn kein Dichter gebrauchen und abzeichnen.“ (§3, Hanser 5, 36)

Sowohl das Anti-Titanische noch das Titanische also scheint zuerst das notwendige Instru-ment zu sein, um durch Poesie wahrzunehmen, was Realität nicht besitzt oder zu wenig zu-lässt: Durchblick. Dichtung und Wirklichkeit sind niemals identisch – und können es nicht werden. Aber: Die „Natur“ oder die „wirkliche, sinnliche Welt“ hält den Menschen bloß fest – „die Poesie zieht wie ein weißer Strahl in die tiefe Wüste“ (S. 40) –
Dass die Realität des Lebens eher den Einzelnen entfremdet oder niederhält oder gar auffrisst, haben wir schon im Extrablatt gelesen, aber bislang war von einer „Erhebung über die Erde“ die Rede. Was bedeutet aber dann „tiefe Wüste“? Von einem abgehoben Idealischen, einem nur Phantasierten liegt das weit entfernt. Jean Paul führt den Leser immer wieder von einem Punkt, den er beglückt erreicht zu haben glaubt, den Ort der schönen Phantasie, weg in die umgekehrte Richtung: in die keineswegs ideale Welt.

So genügt es auch nicht, ausschließlich auf den „Charakter“ oder den Ich-Zustand der Figuren zu blicken, wie das gerne Philosophen und Dichter dieser Zeit tun und ideale Figuren zeichnen oder auch Theologen, die den neuen Menschen vorstellen.
Jean Paul übersieht nie das Reale, auch wenn es das „Äußere“ ist, weil es das „Innere“, das „Herz“ nicht unverändert lässt, vielmehr durch Reibung an der Rauheit der Realität sich abar-beiten muss.


2/14 Ankündigung des Personals, der Hauptfiguren des „Titan“

Eine Übersicht über die Figuren finden Sie unter Text 19.

 1. Albano und Gaspard
Albano – dies erzählt der erste Band – erfährt eine Erziehung und Bildung, die man einerseits absonderlich und ungewöhnlich, andererseits aber auch sehr vielfältig nennen kann.
Es ist zum einen eine Bildung zu großen Gefühlen, in denen die Natur und das Licht eine gro-ße Rolle spielen. Die Idee der Abgeschiedenheit des Kindes, die schon Rousseau wichtig war, wird durch Erziehung unter der Erde im Hesperus, aber auch mit Albano vorgeführt – um das große Gefühl der Herrlichkeit der Natur umso größer zumachen. S. 20ff – auf Isola bella
Es ist zum anderen eine Erziehung, die das pragmatische Wissen für die täglichen Geschäfte der Menschen ebenso enthält wie den familiären Umgang in einer intakten Familie Wehrfritz.
Es ist zum dritten eine Begegnung mit Geschichte und Kultur der Antike, ihrer Kunst und Philosophie. Hier spielt der humanistisch gebildete Lehrer Dian eine wichtige Rolle.
Und es ist zum vierten die Belehrung über das, was einen Landesherrn auszuzeichnen nötig ist. Dies erfährt Albano von seinem (vermeintlichen) Vater Gaspard de Cesara, der Albano schon in ein Wechselbad der Gefühle steckt, das dessen hochfliegende Gefühle vergehen lässt, wenn Gaspard zu ihm über sein Bildungsprogramm spricht. Text 20

Nimmt man hinzu, wie Albano den Alten, seinen Vater!, zum ersten Mal erlebte – er war ja bei der Familie Wehrfritz bis zum 16. Lebensjahr zur Erziehung - wird deutlich, wie ihm zumute war, der sich übrigens unmittelbar vor der Begegnung noch eine Wunde durch Ritzen am Arm beibrachte 4/14
Dass dieses Erziehungsprogramm nicht unbedingt mit dem der Mutter Eleonore zusammen-passt, wurde ja schon aus deren Brief an Albano  (ihrem „Testament“?) deutlich. Text 21

Albano tritt dann, so sich selbst verletzend („ritzend“), um die Angst zu überwinden, dem Mann und Vater blutend gegenüberr. Text 22

weiter

zurück

 

back_service.jpg


Jean Paul 2013 e.V.
Wahnfriedstraße 1
95444 Bayreuth

E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!