Jean Pauls ICH-Suche - Schritte (8)
von Ortwin Beisbart
Übersicht und Struktur des Materials zu "Jean Pauls Ich-Suche - Der Mensch als Titan"
Texte "Jean Pauls Ich-Suche - Der Mensch als Titan"
2/26 Albanos Lebensstrategien
Auffällig ist nun, dass Albano fest entschlossen ist, in den Krieg zu ziehen.
Auch in anderen Texten Jean Pauls kommt diese Idee vor. Hier – es ist die Zeit der beginnen-den Herrschaft Napoleons – ist es der Wille, die französische Revolution zu unterstützen. Später (im Komet) geht es um die Teilnahme am Befreiungskampf der Griechen
Dem können wir an dieser Stelle nicht im einzelne nachgehen. Zur Zeit der Entstehung des Titans sind es die Kriegsereignisse nach der französischen Revolution und schließlich Napo-leons, in späteren Schriften sind es die Freiheitskriege gegen Napoleon (1812-1814), und dann folgt der Freiheitskampf der Griechen gegen die Osmanische Herrschaft, so in der Selina (vgl. das Themenangebot Endlichkeit und Unsterblichkeit).
Dazu kann man sich eigene Fragen stellen: Was tröstet in Verzweiflung? Text 42
Ist das nach den Gefühlsaufschwüngen und den Gefühlsenttäuschungen der richtige Trost, eine Zuflucht?
Darf man den Plan sehen als den (religiösen) Weg von der vita passiva, der frommen Zufrie-denheit zur vita activa?
Oder sollte man noch allgemeiner von Freiheit sprechen, einer Freiheit, die nie nur individuell gelebt werden kann, sondern soziale Bedingungen hat.
An einer Stelle (nach dem Verlust Lindas) reflektiert Albano sein Leben. Text 43
2/27 Der Títan oder Anti-Titán Albano – Drei Perspektiven
Was zeichnet nun Albano aus, was ist das Ideal, von dem Jean Paul erzählt?
Es kann sein, dass man kritisch fragt:
Ist er nicht eine „Konstruktion“, ausgedacht und nicht wirklich vorstellbar? Sicher, es ist eine poetische Konstruktion, das sagt ja der Autor selbst. Text 10
Lebt er nicht auf Kosten der Menschen, die ihm begegnen, der Freunde, deren echter Freund, deren Geliebter er war, und die dann den Tod finden, weil sie nur noch „stören“? So kann es uns die Handlung nahe legen. Also ein Sieg auf den Gräbern der Helfer?
Es sollen hier drei Perspektiven noch einmal deutlicher machen, dass es nicht so ist.
Die erste Perspektive:
Albano verkörpert in seinem Aufwachsen zugleich alle seine Begleiter. Er ist so wie sie.
Ein solches Verständnis der menschlichen Person klar zu machen, will er mit seiner Poesie realisieren, indem er gewissermaßen die Kräfte, die die das Ich, die Identität bestimmen, aus-einanderfaltet. Albano erkennt sich – ein Stück weit – in jedem seiner Figuren wieder. Ein Stück weit deshalb, weil er besser lernt als seine Partner, die Gegenkräfte in ihm zuzulassen, wenn er „einkräftig“ zu werden droht. Das Interessante an Jean Pauls Roman ist dabei, dass es nicht, wie in einer allzu schlichten Theologie um einen Dualismus zwischen Gut und Böse geht, oder wie in manchen Romanen anderer Autoren (z.B. Hofmannsthals „Andreas“) – oder den Titanenfilmen.
In der Rolle des alten Pfarrers Spener spricht hier Jean Paul über seine Romankunst:
„Er sprach [..] von dem, worin sein Herz atmete und lebte; aber in einer sonderbaren, halb theologischen, halb französischen, Wolffianischen und poetischen Sprache.“ Eine Mischung aus Theologie, begrifflichen Aufklärungsphilosophie und bildhaften Poesie, der man noch Platons Menschenbild hinzufügen sollte. Text 44 Aus Platons Phaidros
Die zweite Perspektive:
Albano sucht nicht nur nicht das Haben, sondern er will auch nicht im Sein, sondern im Werden leben.
Schon im Anschluss an Albanos erstem Liebesglück mit Liane wendet sich der Erzähler an den Leser:
„Da ihr schöne Tage nie so schön erleben könnt, als sie nachher in der Erinnerung glänzen oder vorher in der Hoffnung, so verlangt ihr lieber den Tag ohne beide; und da man nur an den beiden Polen des elliptischen Gewölbes der Zeit die leisen Sphärenlaute der Musik vernimmt und in der Mitte der Gegenwart nichts: so wollt ihr lieber in der Mitte verharren und aufhorchen, Vergangenheit und Zukunft aber […] wollt ihr gar nicht anhören und heranlassen, um nur taubblind in einer tierischen Gegenwart zu nisten.“ (3, 221, Z. 9-20)
Der Mensch, der sein Ich gefunden zu haben glaubt, verliert es, wenn er es im Hier und Jetzt festzuhalten versucht. Er findet es nur im Werden, nicht im Sein.
Mit anderen Worten: Jede Stufe des Lebens ist kein fester Punkt, sondern ein Übergang zu einer Weiteren. „[…] alles Werden, z.B. der Frühling, die Jugend, der Morgen, das Lernen, geht vielfärbiger und geräumiger auseinander als das feste, aber ist dieses nicht wieder ein Werden, nur ein höheres, ein Sein, nur ein schnelleres? (3,369, Z. 32 – S. 370, Z. 2)
Die dritte Perspektive:
Werden geschieht allein in der Liebe, der uneigennützigen Liebe zwischen den Menschen und der zwi-schen Mensch und Gott.
Speners Rede fasst der Erzähler zunächst zusammen und lässt ihn und Albano diskutieren: „Sähe jeder en andern an wie er sich; so gäb’ es keine feurige Liebe. Aber jeder fordere einen unendlichen Wert und sterbe an jedem unauflöslichen, deutlich erkannten Fehl; sie hebe ihren Gegenstand aus allen heraus und über alle und verlange Gegenliebe ohne Grenze, ohne allen Eigennutz, ohne Teilung, ohne Stillstand, ohne End’. Das sei ja das göttliche Wesen, aber nicht der flüchtige, sündige, wechselnde Mensch. Daher müsse sich das liebekranke Herz in den Geber dieser und jeder Liebe selber, in die Fülle des Guten und Schönen, in die uneigen-nützige, unbegrenzte All-Liebe senken und darin zergehen und aufleben, […]. Dann sieht es zurück auf die Welt und findet überall Gott und seinen Widerschein – die Welten sind seine Taten – jeder fromme Mensch ist ein Wort, ein Blick des All-Liebenden; […] ‚Aber’ – (sagte Albano, dessen frisches energisches Leben aller mystischen Vernichtung widersträubte) – ‚wie liebt uns denn Gott?’ – ‚Wie ein Vater sein Kind, nicht weil es das beste ist, sondern weil es ihn braucht.’ – ‚Und woher (fragt’ er weiter) ‚kommt denn das Böse im Menschen und der Schmerz?’ – ‚Vom Teufel’, sagte der Greis […] (3, S. 344, Z. 5-26; 66. Zykel)
„Irgendeine uneigennützige Liebe muss ewig gewesen sein.“ setzt Jean Paul in einer Anmer-kung zum Grundbedürfnis Liebe für das Kind, den Menschen, dazu. Das ist also Vorausset-zung: Eine Zuwendung, die „von außen kommt“ – doch mit der „mystischen, weltflüchtigen Sicht kann sich weder Albano noch der Erzähler noch Jean Paul doch nicht anfreunden.
„Man sollte manches Schwärmers Poesie und Philosophie statt der Verbal Realübersetzungen geben, damit man sähe, wie die golden-reine Wahrheit unter allen Hüllen glühe.“
2/28 Liebesfähigkeit als Ziel
Die wesentliche Bedingung, die in jedem Fall das Sein des hohen Menschen bestimmen muss, ist die Ausbildung der Liebesfähigkeit. so notiert er später in einer Sammlung, die er kritisch gegen ein dogmatisches Christentum „Überchristenthum“ nennt.
„Gott hat dem Menschen die Liebe erst ins Herz gegeben.“
(Überchristenthum Nr. 25, gekürzt)
So kann man den Weg, den Albano geht, ein Weg auf der Suche nach Liebe, die als Gefühl immer schon in ihm angelegt ist – als ein Weg wachsender Erfahrung mit Liebe nennen:
Liebe seiner Erzieher, soweit sie mehr als nur Wissensvermittler sein wollten,
Liebe seiner Freunde, auch wenn sie, wie Roquairol und Schoppe, in Einseitigkeit scheitern
Liebe zu seinen Schwestern (der Stiefschwester Rabette und der Schwester Juliette)
Liebe zu den Freundinnen, zu Liane, Rabette, Linda und Juliette, von denen jede nur je einen Teil einer tragfähigen Liebensfähigkeit, eines lebensfähigen „Seins“ besitzt. Oder anders: Die einen Teil allein ausgebildet haben, der zur Liebe hinzugehört.
Doch sie gehören auch als „Teile seines Ichs“ zu ihm selbst. Text 45
Jean Paul-Taschenatlas
Jean Paul-
Taschenatlas. Herausgegeben von Bernhard Echte und Michael Mayer im Nimbus Verlag. Publikation zur Litfaßsäulenausstellung Jean Pauls Orte im Jubiläumsjahr 2013. Rezensionen: NZZ, FNP, FLZ, JJPG, Neues Deutschland, Frankenpost, Das Blättchen, TP Würzburg, ZfGerm
Jean Paul Bildbiographie
Das Wort und die Freiheit. Jean Paul Bildbiographie. Hrsg. von Bernhard Echte und Petra Kabus im Nimbus Verlag.
Rezensionen: Neue Zürcher Zeitung, Fränkischer Sonntag, CULTurMAG, Lesart, PAZ, ekz, Frankenpost u.a.
Pressespiegel
Lesen Sie Artikel zu Publikationen und Veranstaltungen im Jean-Paul-Jahr 2013.
Poesie und Information
Immer am Montag war Hundsposttag.
Zu Wochenbeginn versendeten wir einen Aphorismus von Jean Paul, und in unregelmäßigen Abständen informierte der Newsletter über Termine und Veranstaltungen im Jean-Paul-Jubiläumsjahr 2013.