» Man verdirbt unter Leuten,
die einen nicht übertreffen. «

» Er ist ein besonderer Freund
       – von Feinden. «

» Die Bücher sind die
        stehende Armee der Freiheit. «

     » Manches »Gesuchte« wäre es nicht,
        wenn der Verfasser mehr suchte. «

» Was alles Böses gegen das Bier
     bei Philosophen gesagt wird,
         gilt nicht bei mir. «

» Jeden Tag
     mache dich auf viele Wunder gefaßt. «

» Hätte ich keine Bücher zu schreiben: ich wäre der beste Ehemann. «

» Niemand hat weniger Ehrgefühl
      als eine Regierung. «

     » Die Poesie ist die Aussicht
aus dem Krankenzimmer des Lebens. «

» Ein Kind sei euch heiliger als die
   Gegenwart, die aus Sachen
     und Erwachsenen besteht. «

» Ein Rathhaus gehört zum Hausrath
       einer Stadt. «

» Die Tat ist die Zunge des Herzens.«

» Bücher sind nur dickere Briefe an Freunde. «

» Das Paradies verlieren
und den Paradiesvogel behalten. «

» Eine Blattlaus hat mehr Ahnen
   als ein Elephant. «

» Nichts ist fataler, als wenn gerade
die letzte Flasche altes Bier schlecht ist. «

» Unter Denken eines bösen Gedankens
     auf der Gasse ehrerbietig gegrüßt werden. «

» Man kommt leichter zu jedem
     andern als zu sich. «

» Eine Demokratie ohne ein paar hundert Widersprechkünstler ist undenkbar. «

» Auf der Welt ist alles natürlich,
       ausgenommen die Welt selber. «

» Die größten Städte und Genies
sind unregelmäßig gebauet,
voll Sackgassen und Paläste. «

» Die Blumen schlafen,
         aber nicht das Gras. «

» Entwirf beim Wein,
         exekutiere beim Kaffee. «

» Weiber sprechen lieber von,
          Männer in der Liebe. «

» Bei Gott, alle Welt spricht,
und niemand kommt zu Wort. «

» Ich merke Namen so wenig,
daß ich oft vor dem Spiegel frage,
wie heißt der darin? «

Die Natur – Schrecken und Trost Kontexte

 

von Prof. Dr. Walter Sparn

Physikotheologie_vollständig

Übersicht

Materialien, Arbeitsanregungen, Texte

 

 B. Kontexte

1.1 O warum tröstest du mich nicht mehr, du unendlicher Himmel wie sonst [einst] ... (A Nr. 1). Diese nachgelassene Aufzeichnung Jean Pauls bringt eine der epochalen Erfahrungen der Neuzeit zum Ausdruck; ein Erfahrung, die im ausgehenden 18. Jahrhunderts allgemein wurde und zu enormen Verunsicherungen im Lebensgefühl und tiefen Verwerfungen in der geistigen Verfassung der Zeit führten. Denn was man meist positiv die „anthropologische Wende“ der intellektuellen und literarischen Kultur des aufklärerischen 18. Jahrhunderts nennt, hat auch einen negativen Aspekt: die Schwächung des Weltbezugs des menschlichen Lebens und das Verblassen seines bisherigen kosmischen Erfahrungs- und Orientierungshorizontes. Man muss vom Ende dessen sprechen, was seinerzeit „Physikotheologie“, hieß, der Verknüpfung von wissenschaftlicher  Rationalität und christlichem Schöpfungsvertrauen.
Bis ins 18. Jahrhundert war es im christlichen Europa weithin unfragliche Überzeugung, dass die sinnlich erfahrene Welt ihre menschlichen Betrachter auf einen Schöpfer und Erhalter dieser Welt hinweise und zu dessen Verehrung anleite. Diese Überzeugung verknüpfte den Schöpferglauben der Bibel (1. Mose 1; Psalm 8, Psalm 19; Römer 1,19f. u.a.) eng mit der philosophischen Kosmologie. Diese hatte seit Platon und Aristoteles die rationale Erklärung der Weltprozesse mit der Annahme eines göttlichen Ersten Bewegers abgeschlossen, d.h. hatte die  Physik mit einer vernünftig-theologischen Metaphysik unterlegt. Die christliche Theologie artikulierte diesen Zusammenhang, indem sie natürliche, d.h. der vernünftig begriffenen Erfahrung zugängliche „Wege“ zur Rede von „Gott“  aufwies und dies in den christlichen Gottesglauben einfügte. Sie führte mithin (später so genannte) kosmologische  „Gottesbeweise“: aus der in der Natur erkennbaren Ordnung, aus der ursächlichen Bewegtheit der Dinge und aus der Zielgerichtetheit der natürlichen Prozesse.
Auch die Reformation hielt, trotz ihrer Kritik der theologisch-philosophischen Verknüpfung von „Schöpfer“ und „Erstem Beweger“, an dieser „natürlichen Gotteserkenntnis“ fest; so war z.B. Martin Luther der Überzeugung, dass „die Welt voller Bibel“ sei – wenn man sie denn nur lesen wolle. Die barocke Erbauungsliteratur unterstellte stets die Lesbarkeit des „Buches der Natur“ oder „liber creaturae“ (Buch der Schöpfung) durch den Menschen. Dafür sind Paul Gerhardts Lieder „Ich singe dir mit Herz und Mund“ (EG 324) oder „Geh aus, mein Herz und suche Freud“ (EG 503, vgl. EG 501) Zeugnisse, die auch Jean Paul bekannt gewesen sind. Im englischen und deutschen Protestantismus entwickelte sich seit der Mitte der 17. Jahrhunderts eine ausdrücklich so genannte „Physikotheologie“, die es bis etwa 1750 auf über tausend Titel brachte; viele waren nicht von Theologen verfasst, sondern von Dichtern und Naturforschern, manche wurden sogar vertont. Jean Paul erwähnt u.a. zwei berühmte Physikotheologien, das große Lehrgedicht „Die Alpen“ Albrecht von Hallers (1729) und Barthold Hinrich Brockes neunbändiges „Irdisches Vergnügen in Gott“ (1721-1748).

1.2 Diese Physikotheologie befand sich in der Zeit Jean Pauls in einer tiefen Krise. Zuvor war es ihr möglich gewesen, die von philosophischen Konzepten der Renaissance angestoßene  und von den neuen Naturwissenschaften verifizierte weltanschauliche Entwicklung „von der geschlossenen Welt zum unendlichen Universum“ (so der klassische Titel von Alexandre Koyré) zu kompensieren und so das Erschrecken angesichts des „Schweigens der unendlichen Räume“, das Blaise Pascal bereits im 17. Jahrhundert zum Ausdruck brachte, erträglich zu machen. Sie rekurrierte auf das durch Instrumente wie Teleskop und Mikroskop erweiterte und naturgesetzlich geklärte Wissen und interpretierte die Baupläne der Weltmaschine und der regelhaften Interaktionen ihrer Teile als der menschlichen Vernunft verwandt und für die menschliche Gesellschaft „zweckmäßig“. Doch kam diese Kompensation nun aus mehreren Gründen an ihr Ende.
Erstens, die an sich empirisch basierten Naturwissenschaften mathematisierten sich mehr und mehr und reduzierten die Lesbarkeit der Welt auf Vorgänge strikt mechanischer Kausalität zwischen materiellen Dingen; sie entfernten sich von der alltäglichen Anschauung und den mit ihr verbundenen Sinnbedürfnissen. Zweitens, die heliozentrische Kosmologie und die Annahme einer räumlich und zeitlich unendlichen Welt rückte die Erde und den Menschen aus dem bisher beanspruchten Weltmittelpunkt an den bedeutungslosen Rand; individuelle „Lebenszeit“ und „Weltzeit“ hatten nichts mehr miteinander zu tun. Drittens, die Analyse der menschlichen Erkenntnismöglichkeiten erbrachte das Ergebnis, dass die alte Metaphysik nicht wirklich vernünftig verfuhr und speziell ihre kosmologischen Gottesbeweise nicht aufgrund der Verbindung von Begriff und Anschauung führen konnte.
Für diese Entwicklung stehen auf naturwissenschaftlicher Seite z.B. Paul Henri d’Holbachs „Système de la nature, ou, des lois du monde physique et du monde moral“ (1770) und Pierre Simon de Laplace’ „Exposition du système du monde“ (1796), auf philosophischer Seite vor allem Immanuel Kants „Kritik der reinen Vernunft“ (1781, ²1787). Kant reduzierte hier die Begriffe „Welt“ und „Natur“ auf regulativen Ideen, d.h. auf den Inbegriff aller möglichen Gegenstände des rationalen Zugriffs durch Menschen. Da, wo die Natur mehr und anderes ist, nämlich als unverfügbarer „bestirnter Himmel über mir“, ist sie von achtunggebietender Erhabenheit, und zwar deshalb, weil das unermessliche große bestirnte Firmament den winzigen Betrachter in seiner Wichtigkeit als materielles Wesen „gleichsam vernichtet“ – einen Betrachter, den aber das „moralische Gesetz in mir“ in seinem Wert als unsichtbare und intelligente Persönlichkeit unendlich erhebt, denn dieses Gesetz offenbart ein „von der ganzen Sinnenwelt unabhängiges Leben“ („Kritik der praktischen Vernunft“ 1787, Beschluß).   

1.3 Auch Jean Paul leidet an der Erfahrung, dass die wissenschaftlich präparierte Natur als solche dem Menschen nichts-sagend geworden und das Göttliche aus ihr vertrieben worden ist. In der Levana (1806, §35) konstatiert er ironisch: „Der Sinn und Glaube für das Außerweltliche, der sonst unter den schmutzigsten Zeiten seine Wurzeln forttrieb, gewinnt in reiner Luft keine Früchte. Wenn sonst Religion im Kriege war, so ist jetzo nicht einmal in der Religion mehr Krieg - - aus der Welt wurde uns ein Weltgebäude, aus dem Äther ein Gas, aus Gott eine Kraft, aus der zweiten Welt ein Sarg.“ Poetisch ratifiziert insbesondere die „Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei“ (im Siebenkäs 1796/97; I/4, 270-275) das bis in die „Wüsten des Himmels“ vergebliche Suchen nach Sinn und Gott. Dass diese unsere Welt eine sehr fragile Einrichtung sei, bedroht von einem „Welt-Sturm“, ja vom „Weltsterben“, meint sogar der schlichte Attila Schmelzle (Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz, 1809).
Trotz der kosmologischen Heimatlosigkeit des modernen Menschen, die eigentlich nur noch die „Schilderung der öden um die Sonne ziehenden Erde“ zulässt (Dichtungen 1, 1790; Ideen-Gewimmel Nr. 1454), lässt sich Jean Paul nicht endgültig davon abbringen, in der sensiblen Wahrnehmung und bildstarken Empfindung der Welt, wie sie die fünf Sinne anrührt und die Einbildungskraft bewegt, eine tröstliche, wenn auch nicht endgültige Beheimatung zu suchen. Die Ergebnisse dieser Suche stellen nichts weniger dar als eine literarisch Neubegründung der Physikotheologie: An die Stelle der rationalen, aber kalten Ordnung der maschinellen Natur tritt nun die Kraft ihrer ästhetischen Anmutung, die von den natürlichen Dingen und ihrem Leben auf das menschliche Gemüt wirkt – wenn man sie denn zulässt. In dieser Wirkung finden das Natürliche und das Übernatürliche wieder zusammen, und man kann sagen: „In der Welt ist alles natürlich, ausgenommen die Welt selber“ (Merkblätter 1818:  Ideen-Gewimmel Nr. 1453).
Über seine ‚Physikotheologie’ hat Jean Paul sich selten im engeren Sinn theoretisch geäußert und hat den Begriff m.W. nicht für sich gebraucht; er hat seinen besonderen Umgang mit dem Thema aber umso häufiger poetisch realisiert. Die Form dafür sind nicht nur Gespräche und Reflexionen der in Erzähltexten auftretenden Figuren einschließlich des Erzählers, sondern auch die Beschreibung von deren Erlebnissen in und mit der Natur.
In allen Werken Jean Pauls befinden sich die Personen zeitweilig auch, oft im Kontrast zu den Misslichkeiten der Gesellschaft, in der Natur; sie erleben die Natur als für sie wirklich und wirkend. Ihre Wahrnehmungen werden meist ausführlich und immer bilderreich beschrieben, und sie werden vor Augen geführt teils in ihrer klärenden oder reinigenden (kathartischen) , teils in ihrer lösenden und heilenden (therapeutischen) Wirkung auf das Verhältnis der Person  zu sich selbst und zu ihren Lebensverhältnissen. Dem entspricht, dass Jean Paul nicht bloß ländliche Idyllen, sondern noch häufiger stark bewegte oder erhaben wirkende Naturszenen beschreibt, z.B. Gewitter, Ruhe nach dem Sturm, Sonnenaufgänge und Sonnenuntergänge, und mit inneren Erfahrungen der erzählten Person oder des Erzählers verbindet. Trotz der Vielfalt der poetischen Ausarbeitung kann dabei man einige Merkmale ausmachen, die für Jean Pauls ‚physikotheologische’ Deutung der Natur charakteristisch sind.

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