» Eine Demokratie ohne ein paar hundert Widersprechkünstler ist undenkbar. «

» Die Tat ist die Zunge des Herzens.«

     » Manches »Gesuchte« wäre es nicht,
        wenn der Verfasser mehr suchte. «

» Bücher sind nur dickere Briefe an Freunde. «

» Ein Kind sei euch heiliger als die
   Gegenwart, die aus Sachen
     und Erwachsenen besteht. «

» Eine Blattlaus hat mehr Ahnen
   als ein Elephant. «

» Nichts ist fataler, als wenn gerade
die letzte Flasche altes Bier schlecht ist. «

» Die Blumen schlafen,
         aber nicht das Gras. «

» Entwirf beim Wein,
         exekutiere beim Kaffee. «

» Ich merke Namen so wenig,
daß ich oft vor dem Spiegel frage,
wie heißt der darin? «

» Weiber sprechen lieber von,
          Männer in der Liebe. «

» Jeden Tag
     mache dich auf viele Wunder gefaßt. «

     » Die Poesie ist die Aussicht
aus dem Krankenzimmer des Lebens. «

» Unter Denken eines bösen Gedankens
     auf der Gasse ehrerbietig gegrüßt werden. «

» Auf der Welt ist alles natürlich,
       ausgenommen die Welt selber. «

» Er ist ein besonderer Freund
       – von Feinden. «

» Man kommt leichter zu jedem
     andern als zu sich. «

» Das Paradies verlieren
und den Paradiesvogel behalten. «

» Die größten Städte und Genies
sind unregelmäßig gebauet,
voll Sackgassen und Paläste. «

» Ein Rathhaus gehört zum Hausrath
       einer Stadt. «

» Was alles Böses gegen das Bier
     bei Philosophen gesagt wird,
         gilt nicht bei mir. «

» Bei Gott, alle Welt spricht,
und niemand kommt zu Wort. «

» Die Bücher sind die
        stehende Armee der Freiheit. «

» Man verdirbt unter Leuten,
die einen nicht übertreffen. «

» Niemand hat weniger Ehrgefühl
      als eine Regierung. «

» Hätte ich keine Bücher zu schreiben: ich wäre der beste Ehemann. «

Die Natur – Schrecken und Trost Kontexte (2)

 

von Prof. Dr. Walter Sparn

Physikotheologie_vollständig

Übersicht

Materialien, Arbeitsanregungen, Texte

 

 B. Kontexte

2.1 Jean Paul thematisiert ‚die’ Natur selten pauschal, sondern meist das sinnlich vermittelte und affektiv besetzte Verhältnis zu einer jeweils erfahrenen oder vorgestellten(!) Naturszene. Der nachgelassene Text „Meine Naturliebe“ (A Nr. 2) belegt, dass er dies bewusst sowohl dem naturwissenschaftlich objektivierenden Zugriff auf die Welt als mechanische „Maschine“ als auch der philosophisch objektivierenden Rechtfertigung der Welt als der von vornherein besten aller möglichen Welten kontrastiert, also auch der seit Gottfried Wilhelm Leibniz etablierten apriorisch-theoretischen (d.h. nicht zuletzt: erfahrungsresistenten) Theodizee. Jean Paul lebt „in, nicht über den Wolken“, er nimmt „dem Himmel und der Erde gar nichts übel...“
Medium der Naturerfahrung ist, wie in seiner Zeit überaus beliebt und literarisch präsentiert, z.B. durch (den von Jean Paul nicht geschätzten) Friedrich Nicolai oder dann Johann Gottfried Seume, das zu Fuß oder mit der Kutsche bewerkstelligte Reisen: „Ach Viktor, nur Reisen ist Leben wie umgekehrt das Leben Reisen ist“, heißt es, in Aufnahme das religiösen Topos vom Leben als Pilgerschaft, sogar in dem 1797 erschienenen Gespräch(!) über die Unsterblichkeit der Seele Das Kampaner Tal (I/4, 585). Anders als auch die Genannten konzentriert sich Jean Paul auf das Gehen, Sehen, Hören und nicht zuletzt: Träumen in der Natur.
Das Hinausgehen aus schmerzlich bedrängten sozialen Verhältnissen in die Natur lässt diese als tröstlich und heilend erfahren. So heißt es von dem unglücklichen Firmian im Siebenkäs (1796): „Hier in das freie, enthüllte, blühende All, und den großen Himmel, trug er gern seine Seufzer und seinen Kummer, und er machte in diesen Garten, wie sonst die Juden in kleine, alle seine Gräber.-  Und wenn uns die Menschen verlassen und verwunden: so breitet ja auch immer der Himmel, die Erde und der kleine blühende Baum seine Arme aus und nimmt den Verletzten darein auf, und die Blumen drücken sich an unsern wunden Busen an, und die Quellen mischen sich in unsere Tränen, und die Lüfte fließen kühlend in unsere Seufzer – das Weltmeer von Bethesda [der Teich von Joh 5,4!] erschüttert und beseelt ein hoher Engel, und wir tauchen uns mit allen tausend Stichen in seine heißen Quellen ein und steigen zugeheilet und mit abgespannten Krämpfen aus dem Lebenswasser wieder heraus.“ (I/2, 313f. vgl. auch „Glanz des Reisens“, ebd. 355-387).
Der Titan (1800-1803) platziert den Helden Albano „auf dem Schoße der schönen Natur, die dich wie eine Mutter liebkoset und hält, und vor dem Angesicht der erhabnen, die wie ein Vater in der Ferne steht“. Der Erzähler meint: „Hohe Natur, wenn wir dich sehen und lieben, so lieben wir unserer Menschen wärmer...“, er spricht die „erquickende Natur“ daraufhin an, dass sie vor den verwundeten und ungläubigen Seelen „mit deinen Blumen und Gebirgen und Katarakten treu und tröstend stehen (bleibt)“ (I/3, 23f.).
Die Interaktion von Naturerleben und Selbsterleben umfasst bei Jean Paul alle mit Sinn (d.h. zugleich: mit der Bedrohung von Sinn) verbundenen Situationen, von den Festen des Lebens bis zum Sterben, wie z.B. in den Erinnerungen aus den schönsten Stunden für die letzten (1812, in Herbst-Blumine, Drittes Bändchen: II/3, 350-366). Erstaunlicherweise meint er, dass weniger das Auge als das Ohr das Organ des Naturgefühls sei und also eine „gute stille Seele“ braucht (Dichtungen 1, 1790: Ideen-Gewimmel Nr. 1618).
Die produktive Korrespondenz von Ich und Natur ist umso mehr keine objektive Gegebenheit, sondern kommt praktisch, im subjektiven Erleben in Gang. Sie erschließt sich denn auch nicht nur am hellen Tag, sondern auch in der schrecklich-schönen Nacht, z.B. auf dem nächtlichen Totenacker. In der Einschätzung der Nacht als produktiver Situation gehört Jean Paul in die literarische und psychologische Kritik der rationalistischen Reduktion der Wirklichkeit auf das der Vernunft Durchsichtige; eine Kritik, mit der enormen Rezeption von Edward Young’s „Night-Thoughts“ (1742/44) in Deutschland (seit 1752, zweisprachig gedruckt zuletzt 1790-1794) einsetzte in mit Novalis’ „Hymnen an die Nacht“ (1800) oder den anonymen, von Jean Paul dem Philosophen W.J. Schelling zugeschriebenen  „Nachtwachen des Bonaventura“ in die Romantik einmündete.
Dieses scharf satirisches Werk wurde auch Jean Paul zugeschrieben, aber anders als dieses, später mit dem von Friedrich Heinrich Jacobi stammenden Ausdruck „Nihilismus“ belegte Werk (es endet mit „Nichts!“) bewegt sich Jean Paul nicht in den muffigen Gassen einer nächtlichen Stadt,  sondern geht „ohne Ziel durch Wälder, Täler und über Bäche und schlafende Dörfer, um die große Nacht zu genießen wie einen Tag“. Hier beginnt „die Äolsharfe der Schöpfung“ auf der unsterblichen Seele zu klingen, auch die kalten Toten berühren reinigend diese Seele. „...Ich schaue auf zum Sternenhimmel, und eine ewige Reihe zeiht sich hinauf und hinüber und hinunter, und alles ist Leben und Glut und Licht, und alles ist göttlich oder Gott....“ sagt das erzählende Ich zum Beschluss des Leben des Quintus Fixlein (1796, I/4, 191; vgl. auch die „Mondfinsternis“ und „Der Mond“ ebd. 38-42, 52-62 sowie die Nachtstücke im Hesperus, 1795).

2.2 Die schöpferischen Möglichkeiten der Korrespondenz von Natur und Seele, aber auch ihre tiefe Zweideutigkeit werden potenziert wirksam in der für Jean Pauls Dichtung so wichtigen Erfahrung des Traums. Die in dieser Nacht des Tagesbewusstsein (auch im Schlaf am Tage) gemachten Erfahrungen werden insofern für wahrer eingeschätzt als die Erfahrungen des Tages, als sie in diese „erste Welt“ schon die unsichtbar, vollkommene ewige „zweite Welt“, hineinwirken lassen – „...wie ein Chaos wollte die unsichtbare Welt auf einmal alles gebären, eine Gestalt keimte auf der andern, aus Blumen wuchsen Bäume, daraus Wolkensäulen, aus welchen oben Gesichter und Blumen brachen“, beginnt die Traumerzählung Walts am Ende der Flegeljahre (1804/5: I/2, 1084).
Auch nehmen im Traum die Schrecken und Entzückungen der Kindheit wieder „Flügel und Schimmer“ an und tragen in eine Sphäre, in welcher der „Strom des Lebens“ noch als ein „Spiegel des Himmels“ den Abgründen des irdischen Lebens entgegenzog (Siebenkäs: I/2, 271f.). In der Nähe der andern Grenze dieses Lebens, im Alter, ist der Schlaf die „Abendröte des Todes“, der Traum aber ist die „Morgenröte der Ewigkeit“ (Herbst-Blumine: II/3, 246). In dessen Perspektive kann Jean Paul sagen, dass der Tod uns auch den „kahlen Traum vom kahlen Leben“ nehme (Ideen-Gewimmel Nr. 1643). Aber davor ist das Erwachen aus dem Traum der glückliche Moment, der mit der irdischen Welt versöhnt, diesem sicht- und hörbar  „schöne(n) Gegenspiel der geträumten“ (I/1, 398): ein von Freudentränen umflortes Erwachen hinein in „eine frohe vergängliche[!] Welt“, die ihre „kurzen[!] Flügel“ ausstreckt  und  „wie ich, vor dem unendlichen Vater“ lebt – „und von der ganzen Natur um mich flossen friedliche Töne aus, wie von fernen Abendglocken“ (I/2, 275).
Diese Zitate finden sich in der Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei, dem ersten Blumenstück des zweiten Bändchens des Siebenkäs (I/2, 270-275). Auch das zweite Blumenstück, Der Traum im Traum (I/2, 276-280) bezieht den geträumten Traum der Mutter Christi im Himmel, der „zweiten Welt“, derart auf die irdische Welt, dass der in dieser ersten Welt erwachte Träumer sich als Träumer - der Wahrheit erkennen kann. Und die irdische Natur kann zur wahren „Traum-Landschaft“ werden: „Und wenn nun der Abend golden und ruhig nieder sinkt und wenn auf das weite Lager der seeligen Stille und Ruhe nun die weggehende Sonne sich golden lagert und zerfliesset – und wenn der Himmel die Erde färbt – und jedes Herz ist seelig und hat seinen Traum und Gott ist auf der Welt“ (Dichtungen 2, 1797: Ideen-Gewimmel Nr. 1637).
Jean Pauls Naturbeschreibungen dienen also nicht der Flucht aus der ersten in die zweite Welt – selbst eine aus der „wüsten schmutzigen Welt“ extrahierte „schöne Nebenerde“ hat ihren Platz als „Vorhimmel“; und der Ich-Erzähler weiß keines, „worin ich lieber aufwachen oder sterben oder lieben möchte“ (Das Kampaner Tal, I/4, 569). Die eigentliche Kunst, wenn schon nicht glücklich, so doch „glücklicher“ zu werden, besteht dann in der Doppelbewegung aus der äußeren Welt in den Traum und aus der Traumwelt ins Erwachen; oder, wie es im „Billett an meine Freunde“ vor dem Leben des Quintus Fixlein heißt, im Wechsel zwischen dem Aufflug über das „Gewölk des Lebens“ hinaus und dem Einnisten unten in der Furche (A Nr. 3).
Die doppelte Bewegung hat Jean Paul auch mit einem neuen technischen Gerät seiner Zeit verbunden, der (mit Heißluft) sich in die Höhe erhebenden, aber dann auch wieder zur Erde herabkehrenden Montgolfière. Während freilich der wild himmelstürmende Giannozzo die schönsten Landschaften beschreibt, aber auch die lächerlich-bösartigen Menschen recht hassen lernt, schließlich zwischen zwei Gewittern zerschellt (Des Luftschiffers Giannozzo Seereise, 1801: I/3, 1004-1010), erhebt sich die Gesprächsgesellschaft im Kampaner Tal über die „schwere Erde“ hinaus in die „majestätische Unermesslichkeit der Nacht“, wo der „innere Mensch“ seiner Sternenheimat nahe ist – um zurückzukehren zu den geliebten Menschen unten in der zauberhaft schönen Landschaft des Pyrenäentals ( „Entzückungen“, I/4, 622-626).

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